Beuys in Göttingen
1968, 1970, 1979, 1982

Materialsammlung


Bearbeitet von M. Graver



Stand: 28. April 2023


1968

Galerie im Centre
Rosdorfer Weg 42

Heute vor 55 Jahren, am 28. April 1968, war Joseph Beuys mit seinen Mitstreitern in Göttingen zu Gast. Die „Galerie im Centre“ lud zu einem Gespräch mit Aktion ein. Der Stempel auf den Einladungskarten machten schon deutlich, worum es ging – um die kurz zuvor gegründete „Deutsche Studentenpartei“.


Ein Mitgründer dieser Partei war Johannes Stüttgen, der nach wie vor mit einem Bus für Direkte Demokratie die Ideale von Beuys vermittelt. Stüttgen erinnert sich an die Vorgeschichte der Veranstaltung: „Dirk Strotmann, ein Schulfreund von mir, der in Göttingen evangelische Theologie studierte, hatte Verbindung zu dem Leiter des Centre, einem Studentenlokal, das zugleich das künstlerische und politische Aktionszentrum der Göttinger Studentenkreise war.“

Dieses Centre befand sich seit 1957 auf einer alten Hinterhofkegelbahn im Rosdorfer Weg 42. Die damalige Leiterin vom Gesundheitsamt stelle Studierenden das schlauchförmige Gebäude zur Verfügung, die dort zuerst eine Kneipe mit regelmäßigen Konzerten, dann auch mit Lesungen und schließlich ab Dezember 1962 auch die „Galerie im Centre“ auf die Beine stellten.

Mit Beginn des Jahres 1968 wurde dort eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, „das politische centre“. Und im Rahmen dieser Veranstaltung kamen Beuys und Johannes Stüttgen, sowie auch Katharina Sieverding und der Fluxus-Musiker Henning Christiansen nach Göttingen.

„Johannes, mit dem ich mich im Briefkontakt befand, hatte den Kontakt zu Beuys hergestellt“, so Dirk Strotmann, der Organisator der Veranstaltung. Und weiter betont dieser: „Das war die erste große Veranstaltung der Deutschen Studentenpartei außerhalb von Düsseldorf.“

Obwohl die Stimmung innerhalb der Studierendenschaft schon aufgeheizt war, muss Strotmann eingestehen: „Dass sie gut besucht war, kann man nicht sagen. Aber es kam zu einer äußerst heftigen Debatte. Ich hielt noch das Eingangsreferat und hatte zaghafte Moderationsversuche unternommen. Dann ging die Post einer sehr lebhaften Diskussion ab – über meinen Kopf als Diskussionsleiter völlig hinweg!“

Auch Johannes Stüttgen reflektiert scherzhaft die Reaktionen des Publikums: „Daß Künstler bekloppt sind, war ja bekannt, daß sie aber so bekloppt sein können, war für einige fast eine ganz neue Erfahrung (…). Und sie wußten nicht mehr genau, wer nun eigentlich bekloppter war, sie oder wir, die exotischen Künstler aus Düsseldorf, die nach Göttingen gezogen waren, um ausgerechnet dort jeden zum potentiellen Mitarbeiter, ja zum Künstler zu erklären.“

Gerhard Bodenstein, ein Centre-Mitglied und späterer Mitgründer des apex denkt mit einem Lächeln zurück an die Veranstaltung: „Das war gut, da verließen wir das Centre und dachten, egal was kommt, wenn alle Stricke reißen, sind wir immer noch Künstler“


1970

Konzepte einer neuen Kunst
Kunstverein Göttingen im Städtischen Museum

Schon zwei Jahre darauf ist Beuys erneut in Göttingen und wieder wurde dies von Centre-Mitgliedern in die Wege geleitet: Michael Badura und Reinhard Rock durften eine vierteilige Ausstellung für den Kunstvereins Göttingen gestalten. Da der Kunstverein, der gerade 1968 gegründet wurde, noch keine eigenen Ausstellungsflächen bespielte, fand dies im Städtischen Museum statt, vor allem im heute leerstehenden Gebäudeteil.

In der ersten Ausstellung war Beuys mit einem Raum vertreten und richtete dort in vier Ecken des Raumes seine »Fettecken« ein. Das Göttinger Tageblatt berichtete am 15. Januar 1970 und widmet sich dabei erstmals auch dem Gespräch im Centre: »Raum 1, konzipiert nach Ideen von Prof. Joseph Beuys (Düsseldorf) enthält die seit mehreren Jahren bekannten „Fettecken“ des Künstlers und ein Transparent mit einer geheimnisvollen Inschrift. (...) Es ist schwierig, die etwas dürftigen Göttinger Beispiele losgelöst von Beuys’ sonstiger Aktivität zu betrachten; von seinen Beiträgen zur documenta, seinen Auftritten als Gründer der „Deutschen Studentenpartei“ (die er als Gesamtkunstwerk auffaßt), so zum Beispiel im Göttinger „Centre“, wo er mit seinen vergeblichen Parteianhängern über Okkultismus, Magie und Charisma diskutierte.«

Doch von diesen »Fettecken« blieben recht bald nur noc „Fetteckenspuren“ übrig, die Museumswärter waren schon nach wenigen Tagen äußerst fleißig und bewahrten die schöne Raufasertapete vor der expansiven Wirkung der Fettecken. Friedemann Singer, der Fotograf des Centre hielt schließlich nur noch die Fetteckenspuren fest (Friedemann Singer, wohl 1928-2008. Falls Sie ihn kennen, bitten melden Sie sich!)

Diese entfernte Fettecke kan vermutlich als die erste pressewirksam entfernte Fettecke von Beuys angesehen werden, so heißt es im Göttinger Tageblatt vom 17. Januar 1970: »Sonst pflichtbewußte Museumswärter müssen den Eindruck erhalten, dass es hier nichts zu bewachen gibt. So wurden in Joseph Beuys Raum die Fettecken nach einigen Tagen entfernt und Timm Ullrichs kalte Winterluft wurde durch mollige Wärme ersetzt, damit die Heizung nicht einfriert.“


1972

Befragung der Documenta
Steidl Verlag

Als erstes Buch des 1969 gegründeten Steidl Verlages wird zur Documenta 5 von Klaus Staeck ein Bändchen herausgegeben, das einen Kampf gegen Windmühlen dokumentiert. Staeck wollte gemeinsam mit Gerhard Steidl einen Stand auf der Documenta einrichten, was ihm zwar zugesagt, dann aber wieder verwehrt wird. Der Stand sollte sich auf der Documenta kritisch mit dem Konzept der Documenta befassen, ein Konzept das erstmals nicht mehr von Bode verantwortet wurde, sondern von Harald Szeemann kuratiert wurde. Sein zuerst ambitioniertes Projekt schwachte im Verlauf der Planung immer weiter ab und wurde von Staeck und Steidl schließlich als übliche Verkaufsausstellung kritisiert. Dabei wurden zahlreiche Künstler:innen für den Band über ihre Meinung zum Konzept der Documenta befragt, so neben Gerhard Richter und Jörg Immendorff auch Joseph Beuys.

Schon zwei Jahre zuvor, um 1970 begann die Zusammenarbeit von Gerhard Steidl und Klaus Staeck auf dem Gebiet der Editionen. So wurde Steidl bald zum Drucker aller Plakate und Postkarten der Edition Staeck, die einen Großteil der gedruckten Multiples von Joseph Beuys vertrieb und nach wie vor vertreibt. Dadurch ist Beuys auf eine ganz außergewöhnliche Weise mit Göttingen verbunden, sind hier doch viele seiner Werke wenn auch nicht entworfen, so doch haptisch entstanden, in nach wie vor dem gleichen Drucksaal gedruckt wurden. Zwei Beispiele für Multiples beschließen diese Recherchewebsite.

Das 1972 erschienene Buch »Befragung der Documenta« war zugleich der Anfang einer regen Serie von Büchern, die Klaus Staeck im Steidl Verlag herausgab, so nach seinem Bonner Bildersturm 1976.


1974

Beuys in Amerika
Steidl Verlag

Die Zusammenarbeit von Staeck, Steidl und Beuys ging weit über das Herausgeben und Drucken der Multiples hinaus. So begleiteten Staeck und der damals 22jährige Steidl den Professor der Kunstakademie Düsseldorf auf seiner ersten Reise in die USA im Jahre 1974. Dort traf er neben anderen Fluxus-Künstlern vor allem auf Studierende und junge Menschen, besuchte sie in Hörsälen, nahm an Podiumsdiskussionen teil und wurde bei alle dem fotografisch von Gerhard Steidl begleitet.

Die Fotos und Erfahrungen der drei Reisenden flossen schließlich in ein Fotobuch allein über »Beuys in Amerika«, das gesammelte Material führte jedoch auch zu einer ganz außergewöhnlichen Publikation: Aus Anlass des 100. Geburtstages von Beuys wurde ein damals nicht realisiertes Projekt abgeschlossen: Auf dem Rückflug fiel den drei Reisenden auf, dass auf den mitgeschnittenen Tonbandaufnahmen ungemein häufig Beuys' prägnantes Lachen erschallt. Folglich wurde zurück in Göttingen ein Zusammenschnitt nur dieser Lach-Sequenzen angefertigt, der schließlich 2021 zur LP »Beuys Lacht« in der Edition Staeck / Steidl führt.


1979

Zeichnungen · Objekte
Kunstverein Göttingen im Städtischen Museum

Wieder befinden wir uns im Städtischen Museum Göttingen am Ritterplan, auf der Suche nach Beuys Spuren. Bei diesem Besuch Beuys' im Jahre 1979 war er jedoch nicht für eine Gruppenausstellung geladen, sondern ihm allein wurde eine Einzelausstellung gewidmet. In dieser standen seine Zeichnungen und Objekte ganz im Vordergrund.

Eine Ausstellung, die von der regionalen Presse sehr wohlwollend besprochen wurde - im Gegensatz zu seinem ersten Besuch im Städtischen Museum. Und auch das öffentliche Interesse war äußerst hoch, so wird berichtete: »Man sollte sich daran gewöhnt haben, daß Name, Person oder Oeuvre des Joseph Beuys erhebliches Aufsehen, wenn nicht gar Aufläufe bewirken. Trotzdem kann es verwundern, wenn sich am Eröffnungstag der vom Göttinger Kunstverein organisierten Beuys-Ausstellung zwei - bis dreihundert Besucher - eine für Göttinger Verhältnisse sensationelle Zahl - in den Räumen des Städtischen Museums einfaden.« (GT 23. März 1979)

Präsentiert wurden dabei »etwa 150 Exponate, sämtlich im Besitz des Sammlers, Buys-Kenner und -Freundes Ludwig Rinn, (sie) gewähren einen umfangreichen Blick auf über dreißig Jahre Beuys'sches, vornehmlich zeichnerisches Schaffen.«


1979

Multiples-Ausstellung
Galerie Habermann, Ritterplan 4a

Schon in dem Bericht zur Ausstellungeröffnung des Kunstvereins wird am 23. März 1970 im Göttinger Tageblatt auf die benachbarte Ausstellung in der Galerie Habermann verwiesen, so heißt es: »Im Gegensatz zu einigen Multiples (sie sind derzeit in der Galerie Habermann zu sehen), deren Pointen noch spontan nachvollzogen werden können, setzende hier ausgestellten Zeichnungen und Objekte einer intensive Beschäftigung mit Beuys voraus. Doch nur die wenigsten Besucher dürften über die Menge an notwendigen Informationen und die dazu erforderliche Zeit und Mittel verfügen. Wer in diesem Zusammenhang von einer Zumutung spricht, tut dies nicht zu Unrecht, und die Enttäuschung über die Ausstellung ist wahrscheinlich die Folge.«

Die Göttinger Presse berichtete zwei Wochen zuvor allein über die Ausstellung bei Habermann: »Über zwanzig Objekte des unverwechselbaren Herrn mit Hut - er trägt ihn zum Schutz wegen einer im Zweiten Weltkrieg erlittenen Verletzung der Schädeldecke - stellt die Galerie Habermann aus. Bei den Bildern, Plastiken und Assemblagen handelt es sich um sogenannte "Multiples", vervielfältigte Kunstwerke, von denen eine jeweils unterschiedlich hohe Auflage existiert. Der Verlust der Einmaligkeit eines Originals bei den in 20, 50 oder 100 Exemplaren hergestellten Objekten schafft eine Analogie zum seelenlosen, wiederholbaren und seriellen Charakter industriell gefertigter (Konsum-)Produkte, ähnlich den Suppendosen des Andy Warhol.« (GP 10. März 1979)

Leider fehlen mir weitere Details zur Galerie Habermann - wenn Sie die Galerie noch erlebt haben, melden Sie sich bitte.


1982

Singles und Hasensteine
Steidl Verlag, Düstere Straße 4

Schließlich ist Joseph Beuys 1982 erneut in Göttingen und wieder bei Gerhard Steidl. Drei Jahre zuvor wurde das neue Gebäude des Steidl Verlages in der Düsteren Straße 4 errichtete und dort im zweiten Obergeschoss, der Typographischen Abteilung fand Beuys Platz, um seine gerade erst veröffentliche Single »Sonne statt Reagan«, dessen Hülle bei Steidl gedruckt wurde, zu signieren und zu verzieren. Wie das? er nahm eine Krepppapier-Rolle zurhand und hinterließ auf jeder Single einen leuchtend-roten Farbkreis.

Im gleichen Jahr widmet sich Beuys bei Steidl einem anderen Multiple: Begleitend zu seinem Kunstwerk »Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung« auf der Documenta 7 in Kassel, der letzten mit seiner Teilnahme, gibt Beuys in der Edition Staeck sogenannte »Hasensteine« heraus. Basaltsteine, die mittels Schablosen mit Tiermotiven verziert wurde. Dies geschieht im Erdgeschoss des Steidl Verlages.

Die Aufnahmen sind im 2012 erschienenen »Beuys Book« von Klaus Staeck und Gerhard Steidl enthalten, einer voluminösen, detaillierten Zusammenstellung aller Begegnungen der Begegnungen von Steidl, Staeck und Beuys, durchweg mit Fotos der jungen Wegbegleiter Beuys'. Zum Beuys-Jubiläum 2021 wurden zudem weitere Buchprojekte der Vergangenheit wieder aufgelegt, neben dem Amerika-Buch, so auch eine Dokumentatation der Honigpumpe und der Wirtschaftswert-Multiples. Es erscheint zudem im Rahmen dieses vierbändigen Schubers auch ein Band mit unveröffentlichten Fotografien zu Beuys' Tafelbildern auf der Documenta 6, 1977.


Obacht

Ihre Erinnerungen sind gefragt!

Haben Sie Erinnerungen an Beuys in Göttingen, haben Sie ihn selbst vor Ort erlebt? Dann melden Sie sich bitte und teilen Sie Ihre Erinnerungen, Ihre Anekdoten. Ebenso sind Sie auch für Hinweise, Anregungen und natürlich auch Kritik jederzeit herzlich zur Kontaktaufnahme eingeladen. Auch wenn Sie sich nicht an Beuys, aber an das Centre, die ersten Jahre des Kunstvereins, die Galerie Habermann oder die Anfänge des Steidl Verlages erinnern, freue ich mich über Ihre Mitteilung!

Michel Graver
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Michel Graver, Stud. Georg-August-Universität Göttingen

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